Landschaft des Jahres 2003/2004: Das Lebuser Land
Die Naturfreunde Internationale hat die Region Lebuser Land an der deutsch-polnischen Grenze zur „Landschaft des Jahres 2003/2004“ auserwählt. An den Flüssen Oder und Warthe gibt es Feucht- und Vogelschutzgebiete von internationaler Bedeutung. Kluger Naturschutz und nachhaltiger Tourismus sind daher für diese Region wesentliche Zukunftsstrategien. Die einst umstrittene Oder-Neiße-Grenze kann im Zuge der Aufnahme Polens in die Europäische Union eine wichtige Brückenfunktion übernehmen, welche die Naturfreunde tatkräftig unterstützen werden.
Lebus – ein unscheinbarer Ort, 80 km von Berlin entfernt – liegt am Ufer der mächtigen Oder, der heutigen Grenze zwischen Polen und Deutschland. Die Fahrt von Berlin verläuft größtenteils durch lichte Wälder und entlang kleinen Seen – durch eine typisch von der letzten Eiszeit geformte Landschaft. Die Straßen und Wege sind von Alleen gesäumt, in den Orten stehen Fachwerkhäuschen, stets begrenzt die sanft hügelige Landschaft den Horizont. Von der Anhöhe in Lebus, dem ursprünglichen Ufer eines großen Urstromtales, blickt man auf ein weites Flusstal und ebenfalls bewaldete Höhenrücken auf der anderen Seite der Oder.
Auf deutscher Seite kennen heute nur wenige den Begriff Lebuser Land. Das ehemalige Bistum Lebus (1133–1571) als Namensgeber für die Landschaft des Jahres lag in der Oder-Neiße-Warthe-Region, grob abgrenzt zwischen den Orten Neuzelle, Beeskow, Fürstenwalde, Buckow und der Abzweigung der alten Oder auf deutscher und Gorzów, Miêdzyrzecz und £agów auf polnischer Seite. Die teilweise gemeinsame und sehr wechselvolle Geschichte hat das Lebuser Land zu einer grenzüberschreitenden Kultur- und Naturlandschaft im Herzen Europas geformt.
Kulturgeschichtlich bedeutsam sind vor allem die Spuren der Ritterorden, z. B. der Johanniter, die das Land urbar machten und zahlreiche Kirchen und Klöster wie Neuzelle, S³oñsk oder £agów errichteten. Alte Stadtkerne etwa in Beeskow und Sokola Góra sowie viele Fachwerkbauten zeugen vom einstigen Reichtum der Region im Mittelalter, die an einer wichtigen Handelsstraße zwischen Flandern und Polen lag.

Eine romantische Landschaft
Die Eiszeit vor 20.000 Jahren prägte die Landschaft des Lebuser Landes. Die Ostsee reichte damals noch 100 km in das Land hinein, die skandinavischen Gletscher schoben Moränen auf und hinterließen große Findlinge sowie eine Unzahl von kleinen Seen, die gemeinsam mit den Wäldern und Wiesen heute ein wunderschönes Mosaik ergeben. Die großen Flüsse Oder, Warthe und Neiße haben breite Täler mit Auen und Feuchtwiesen geschaffen, die heute wieder Heimat vieler Vogelarten, aber auch von Fischottern sind. Der Nationalpark Warthemündung/Ujœcie Warty ist für seine Vogelkolonien berühmt. Weißstörche, Fisch- und Seeadler, Kraniche und Eisvögel sind hier in großer Zahl zu finden. Die Störche überwintern übrigens jedes Jahr im Nationalpark Djoudj im Senegal. An den Hängen des Odertales gedeihen Trockenrasengebiete mit Wachholderbüschen und seltene Pflanzen wie das Adonisröschen, die ebenfalls unter Naturschutz stehen.

Natur erobert militärische Anlagen
Im polnischen Teil der Landschaft liegen die Bauten der ehemaligen Festungsfront des Oder-Warthe-Bogens, die sich über 100 km zwischen Warthe und Oder erstreckte. Der Friedensvertrag von Versailles 1918 hatte Teile Ostpreußens Polen zugesprochen, wodurch die polnische Grenze näher an die Hauptstadt Berlin heranrückte. Gleichzeitig wurde die Wiederaufrüstung Deutschlands untersagt. Trotz dieses Verbotes wurde schon 1920 damit begonnen, strategische Verteidigungsanlagen an der Oder zu errichten, die jedoch immer wieder von der Interalliierten Militärischen Kontrollkommission entdeckt wurden. 1928 kam es zur strategischen Entscheidung, eine teilweise unterirdische Festungsfront zwischen Oder und Warthe zu errichten, weil man annahm, dass ein erfolgreicher Angriff nur im Bereich des so genannten Lebuser Tores möglich sein würde. Im selben Jahr begann Frankreich mit dem Bau der Maginot-Linie, einer sehr ähnlichen Verteidigungsanlage, die sich über 700 km entlang der Ostgrenze Frankreichs zog. Die zwischen 1934 und 1938 errichtete Anlage im Lebuser Land bestand aus einzelnen Panzerkasematten und Gefechtstürmen, die durch eine unterirdisch verlaufende Eisenbahn verbunden waren. Die Anlage wurde nie fertig gestellt, Teile davon wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört. Inzwischen hat die Natur diese Anlagen erobert. Da in den unterirdischen Tunnels und Panzerwerken stets eine Temperatur von 11 Grad C herrscht, haben sich darin Tausende Fledermäuse angesiedelt. Hier überwintern jedes Jahr etwa 30.000 Tiere, weshalb dieses Gebiet unter strengstem Schutz steht. Diese Umwandlung von militärischen Anlagen in friedliche Naturschutzgebiete ist ein schönes Symbol für die Erweiterung Europas, die in den nächsten Jahren ansteht.
Durch die Umstrukturierung der Landwirtschaft, die zu einem verminderten Einsatz von Pestiziden führte, verwandelt sich das Lebuser Land beiderseits der Grenze in eine blühende Kulturlandschaft. Schmetterlinge, Vögel und seltene Blütenpflanzen finden hier wieder eine Heimat. Auf deutscher Seite bieten die Märkische Schweiz sowie der Naturpark um das wildromantische Schlaubetal mit seinen vielen Wanderwegen von Mühle zu Mühle, auf denen man die letzten tausendjährigen Eichen und seltene Orchideen bewundern kann, viele Möglichkeiten für Freizeitaufenthalte und Urlaube.
Im Lebuser Land wurden besonders in den letzten Jahren viele Wander- und Radwege geschaffen (z. B. der Oder-Neiße-Radweg), auf der polnischen Seite gibt es auch viele Angebote für Kanufahrer und Paddler. Reiten und Angeln sind in der Landschaft des Jahres ebenfalls beliebt. Das Lebuser Land ist ein Paradies für Naturliebhaber – bunte Farben, zwitschernde Vögel, klares Wasser sowie der Duft von Kräutern und Gräsern laden zum Genießen und Sichentspannen ein.

Text von Manfred Pils, Generalsekretär der NFI

 

Blick vom Johanniterkloster in Lagow auf einen der Eiszeitseen

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Grenznaher Tourismus

Von Karl Forster und Ulrike Höck

Auf der jährlichen großen Tourismusmesse in Berlin präsentiert sich Polen, als ob es ein Reiseland erster Klasse wäre. Eine ganze Halle steht zur Verfügung; jede Wojewodschaft sowie jede größere Stadt hat einen eigenen Stand mit teuren Hochglanzbroschüren, die für den Urlaub im Nachbarland werben. Doch das Reiseverhalten der Deutschen sieht anders aus. Der größte Teil der Einreisen nach Polen kann nicht wirklich dem Tourismus zugerechnet werden. Es sind Tagesbesucher zu den Märkten kurz hinter der Grenze: Einkaufen, tanken, evtl. noch Haare schneiden und etwas essen. Das ist zumeist das ganze Programm. Dabei werden auf den Märkten längst nicht nur Euro angenommen, sondern die Preise ausschließlich in Euro kalkuliert. Will man mit Złoty bezahlen, folgt oft ein umständliches Umrechnungsritual. Auch das Warenangebot ist speziell auf den deutschen Käufer ausgerichtet. Die Tankstellen haben inzwischen – servicebewusst – deutsche Arbeitskräfte eingestellt, um erst gar kein Sprachproblem aufkommen zu lassen. Doch dass das nicht wirklich Polen ist, erkennen viele Menschen dabei  nicht. Ihnen reicht der Einkaufsbummel; Interesse an dem Land kann so nicht entstehen.

Dieses Desinteresse wirkt sich auch auf die Angebote der Eisenbahn aus. Zwei große Strecken wurden von der Deutschen Bahn AG und der PKP mit schnellen Zügen ausgestattet. Da gibt es zum einen die Trasse Berlin-Krakow mit dem IC Wawel und zum anderen die Verbindung zwischen den beiden Hauptstädten mit dem Berlin-Warschau-Express. Doch beide Strecken sind längst zum Sorgenkind der Bahnen geworden. Die für die Polen viel zu teuren Strecken werden von ihnen schon länger gemieden. Busse verkehren  umständlicher und länger, dafür aber sind sie billiger. Deutsche Besucher setzen auf den PKW. So bleiben die Züge  weitgehend leer. Ein Sprecher der Deutschen Bahn AG sagte kürzlich, dass beide Verbindungen stillgelegt werden müssten, da sie sich nicht mehr rechneten.  Auf der Warschauer Strecke hat man es in den Monaten Februar/März mit einem Sonderangebot versucht: für 29 Euro pro Strecke in der 2. Klasse nach Warschau oder zurück. Anders die Verbindung nach Krakau. Nachdem die Deutsche Bahn den Zug von Hamburg über Berlin und Cottbus verkehren lässt, ist durch die Lausitz-Strecke die Fahrzeit deutlich verlängert worden. War man früher um 17.30 Uhr in Krakau, kommt man jetzt erst um 19.30 Uhr an. Die Rückreise am nächsten Morgen beginnt dann bereits so früh, dass Anschlüsse aus Südost-Polen den Zug in Krakau nicht mehr erreichen. Diese Reisenden müssen den Umweg über Warschau fahren, was eine deutlich längere Fahrtdauer und eine Erhöhung des Fahrpreises mit sich bringt.

Einen anderen Weg will die Regionaltochter der Deutschen Bahn, die DB-Regio, gehen. Hier hat man erkannt, dass vor allem die Kurzreisen in die attraktive Gegend gleich hinter der Grenze eine Möglichkeit sind, den Tourismus anzukurbeln. So kann man jetzt mit dem Verbund-Ticket von Berlin bis Stettin fahren. Aber auch andere Strecken werden mit neuen Angeboten versorgt, so das Lebuser Land (Lubuskie) mit Zielona Góra und Gorzów. Im vergangenen Jahr wurde sogar eine Sonderzugreise nach Kołobrzeg angeboten. Mit großem Aufwand wurde die eingleisige Strecke mit Direktzügen aus Berlin angefahren, als Tagesfahrt oder mit einer oder zwei Übernachtungen. Das Angebot erwies sich als ein Renner. Schon wenige Tage nach Beginn des Kartenverkaufs war alles ausgebucht! Am Zielort hatte man sich große Mühe gegeben, einen besonderen Empfang zu organisieren - Stadtpräsident, Bahnvorstand und Folkloregruppe waren präsent. Kołobrzeg ist eine Stadt mit einigen wenigen Sehenswürdigkeiten, vor allem aber besitzt sie mit der Strandpromenade sowie den vielen Cafés und Kureinrichtungen alles, was man zur Erholung braucht.  Nicht zu vergessen den  langen Sandstrand. Ohne Geschäfte und Touristenrummel lädt er zur naturnahen Erholung ein. Nur wenige Meter vom Strand entfernt steht das Hotel Hansa, ein Haus, für das wir Werbung machen wollen. Der Chef des Hauses ist Kunstschmied. Ruhige Zimmer und Appartements sowie eine besonders freundliche Bewirtung zeichnen dieses Haus aus (ab 25 € pro Nacht).

Wer weniger Lust auf die Ostsee hat, ist im Lebuser Land gut aufgehoben. Nahe Kostrzyn findet man im Nationalpark Wartemündung das Słonsk Natur Reservat mit einer einzigartigen Vogel-Population. Naturschützer haben hier die „Republik der Vögel” ausgerufen; Besucher erhalten gegen eine Spende einen Pass, der zugleich die Verhaltensregeln im Naturschutzgebiet enthält. Über 240 Vogelarten kann man hier beobachten, 130 von ihnen brüten auch hier. Viele von ihnen sieht man in so großen Zahlen wie kaum an anderen Plätzen Europas. 2500 Kraniche zählt man hier, ca 78.000 Wildenten und über 180000 Gänse. Im Winter kann man hier eine große Anzahl von Adlern finden.

Wer städtisches Leben bevorzugt, der ist in der Wojewodschafts-Hauptstadt Zielona Góra gut aufgehoben. Sie ist die einzige Stadt Polens mit „Weinbaugeschichte“. Auf dem Hügel am Rande der Altstadt findet man auch heute noch Weinreben. Aber angebaut wird der Wein seit wenigen Jahren nicht mehr. Dabei überlegt man, ob man nicht doch, dem Berliner „Kreuzberg“-Beispiel folgend, wenigstens eine kleine Menge ausbauen und bei offiziellen Gelegenheiten verschenken sollte. Sehenswert zumindest ist das Weinbau-Museum in der Altstadt.

Zunehmend wird das Lebuser Land ein attraktives und schnell erreichbares Naherholungsgebiet für Berlin.